Nora Bossong »Reichskanzlerplatz«
Nora Bossong steht mit ihrem Roman »Reichskanzlerplatz« auf der Longlist Deutscher Buchpreis 2024, der überwiegend in Berlin spielt. Ein paar der Orte zeigt sie uns in diesem Film. Sie liest aus Berlin und erzählt von Hans Kesselbach und Magda Goebbels.
Magda Goebbels. Dieser Nachname greift nach einem. Sofort ist da das Bild ihres Ehemanns Joseph, Hitlers Propagandaministers, dieses hemmungslosen Zynikers und Antisemiten, der das Bild des ›Dritten Reichs‹ maßgeblich geprägt hat. Als seine Ehefrau war Magda bis zur Heirat des Führers in der Nacht vom 29. April 1945 die First Lady Nazideutschlands. »Die Welt, die nach dem Führer und dem Nationalsozialismus kommt, ist nicht mehr wert, darin zu leben«, schreibt Magda Goebbels am Abend vor der Hochzeit ihres Trauzeugen in ihrem Abschiedsbrief. Im Führerbunker tötete sie ihre sechs vier- bis zwölfjährigen Kinder Helga, Hilde, Holde, Hedda, Heide und Helmut. Über den Mord an den Kindern schreibt Nora Bossong kein Wort. Das muss sie auch nicht, hängt dieses Fallschwert ohnehin die ganze Zeit mit im Raum.
Stattdessen zeichnet Nora Bossong in »Reichskanzlerplatz« das intensive Porträt der Frau, die drei Nachnamen hatte, bevor sie Magda Goebbels wurde, und das ihres jungen Bewunderers Hans Kesselbach. Er ist im selben Alter wie ihr Ziehsohn Hellmut Quandt und in ihn verliebt. Nach einem Unglücksfall beginnen Hans und Magda eine Affäre, von der sie sich Trost und Vorteile versprechen: Sie will aus ihrer Ehe ausbrechen, er seine Homosexualität verbergen. Erst als Magda Joseph Goebbels kennenlernt und der NSDAP beitritt, kommt es zwischen Hans und ihr zum Bruch. Während Magda mit ihren Kindern bald in der Wochenschau auftritt, gerät Hans zunehmend in Gefahr. Zwanzig Jahre begleiten wir die beiden. Sie sind unterschiedlich in die historischen Ereignisse verstrickt, unterschiedlich schuldig geworden. Auch an sich selbst.